Im Gespräch mit Thüringens Ministerpräsident Mario Voigt
Im exklusiven Interview widmet sich Mario Voigt, Ministerpräsident des Freistaates Thüringen und Vorsitzender der CDU Thüringen, aktuellen Themen der Mobilität wie dem Erhalt der Automobilindustrie, dem EU Verbrenner-Aus ab 2035 oder dem Einsatz alternativer Kraftstoffe wie HVO100.
In der neuesten Ausgabe des Mobil in Deutschland-Magazins (Winter 2025) stellt sich Voigt im Gespräch mit Dr. Michael Haberland, Präsident von Mobil in Deutschland e.V., einigen Fragen rund um Mobilität, Auto und Verkehr.
Was war Ihr erstes Auto?
Mein erstes Auto war ein Nissan Micra – solide, zuverlässig, ehrlich. Ein Auto, das einfach funktioniert, so wie man es vom Handwerk kennt. Ich erinnere mich noch genau an das Gefühl mit 18, zum ersten Mal die Schlüssel in der Hand zu halten: das war Freiheit pur.
Welches Fahrzeug fahren Sie aktuell?
Heute bin ich im Familienmodus unterwegs – mit einer Mercedes A-Klasse. Ein praktisches, sicheres Auto, das Platz für Kinder, Gepäck und Alltag bietet. Für mich zählt Verlässlichkeit mehr als Prestige.
Was bedeutet Mobilität für Sie ganz persönlich?
Mobilität ist für mich gelebte Freiheit. Sie bedeutet, selbst bestimmen zu können, wann und wohin man fährt – unabhängig davon, ob man in Jena, Weimar oder in einem kleinen Dorf im Eichsfeld lebt. Ich komme selbst vom Land und weiß, was es heißt, wenn der Bus nur zweimal am Tag fährt. Für Familien ist Mobilität keine Frage des Luxus, sondern des Alltags. Deshalb bin ich überzeugt: Jeder Mensch muss mobil sein können – ob auf dem Land oder in der Stadt – das Auto ist nicht Luxus, es ist Lebensader. Und genau deshalb brauchen wir eine Politik mit Realitätssinn, nicht mit Verbotsschildern.
Thüringen hat mit Opel in Eisenach und zahlreichen Zulieferern eine starke Auto- und Zuliefererindustrie. Wo sehen Sie aktuell die größten Herausforderungen für den Standort?
Thüringen ist Autoland – und das mit Stolz. Schließlich stand die Wiege des BMW-Automobilbaus in Eisenach oder später dann der Wartburg. Heute arbeiten über 600 Unternehmen mit fast 80.000 Beschäftigten hier in der Automobil- und Zulieferbranche. Das Grüne Herz Deutschlands schlägt also kräftig für den Motor der deutschen Wirtschaft. Die größte Herausforderung sind die Veränderungen bei der Motorentechnik: von klassischen Antrieben hin zu neuen Technologien. Viele mittelständische Betriebe stehen unter enormen Druck – durch hohe Energiepreise, Fachkräftemangel und zu viel Bürokratie. Deshalb brauchen wir Verlässlichkeit und Planungssicherheit. Wer in Thüringen investiert, soll wissen: Wir stehen zu unserer Industrie – und wir wollen, dass sie Zukunft hat.
Wie wollen Sie sicherstellen, dass Thüringen als Automobil- und Mobilitätsstandort langfristig wettbewerbsfähig bleibt?
Thüringen ist auch Innovationsland. Wir entwickeln Hochleistungsbatterien in Arnstadt, fertigen Motorenkomponenten und Hightech in Eisenach und Kölleda. Wir bringen mit unseren Forschungseinrichtungen in Jena, Ilmenau oder Schmalkalden die Ideen von morgen auf die Straße.
Unser Ziel ist klar: Thüringen ist Zukunftsstandort für Mobilität. Dafür setzen wir auf drei Dinge: erstens Bildung und Forschung – mit enger Zusammenarbeit zwischen Hochschulen, Start-ups und Industrie. Zweitens Ausbau moderner technologischer Lösungen, so haben wir das größte europäische Batteriewerk für Elektromobilität in Thüringen und dort entsteht bis Anfang 2026 eines der größten Testzentren für Batteriezellen in Europa. Und drittens: Faire Rahmenbedingungen statt immer neuer Vorschriften: Entlastung der Betriebe – weniger Bürokratie, schnellere Genehmigungen, bezahlbare Energie. Innovation entsteht nicht nur in Laboren, sondern in Werkhallen von Eisenach bis zum Hermsdorfer Kreuz. Wir haben das Know-how – jetzt schaffen wir die Bedingungen, damit daraus Zukunft wird.
Die Debatte um Verbrenner-Aus, E-Mobilität und alternative Kraftstoffe wird hitzig geführt. Wie positionieren Sie sich dazu?
Ohne das Auto fährt unser Land nicht. Deshalb braucht es ein Comeback des Autolandes Deutschland. Ich bin überzeugt: Innovation braucht Freiheit, keine Verbote. E-Mobilität ist ein zentraler Baustein, aber nicht der einzige. Auf deutschen Straßen fahren 49 Millionen Autos. Moderne Verbrenner mit klimaneutralen Kraftstoffen können genauso zum Klimaschutz beitragen. Wir müssen technologieoffen denken – nicht ideologisch, sondern pragmatisch.
Was verstehen Sie unter Technologieoffenheit? Und wie lässt sich das praktisch umsetzen?
Technologieoffenheit heißt Vertrauen in Ingenieure, Forscher, Arbeiter und Unternehmer. Die Politik setzt die Ziele – Bezahlbarkeit, Effizienz, Nachhaltigkeit – aber nicht den Weg dorthin. Brüssel sollte nicht vorschreiben, welches Auto wir morgen fahren dürfen. Ob mit E-Mobilität oder synthetischen Kraftstoffen: Der Wettbewerb der besten Ideen entscheidet. Förderprogramme müssen deshalb technologieunabhängig sein. Wer die besten Lösungen bringt, soll die besten Chancen haben.
Welche Perspektiven sehen Sie für alternative Kraftstoffe wie HVO100 oder auch E-Fuels?
Alternative Kraftstoffe sind ein echter Gamechanger. Sie können bestehende Fahrzeugflotten schnell klimafreundlicher machen – besonders im ländlichen Raum und im Nutzfahrzeugbereich. HVO100 oder E-Fuels sind keine Konkurrenz zur E-Mobilität, sondern eine Brücke in die Zukunft. Damit sie wirken, müssen wir aber Produktion und Verfügbarkeit ausbauen. Deutschland und Europa sollten hier Vorreiter sein – mit klaren Rahmenbedingungen und Investitionsanreizen. Wer Innovation fordert, muss sie auch ermöglichen. Aber eine Sache ist mir daneben besonders wichtig. Wir brauchen auch wieder bezahlbare Einstiegsmodelle. Wenn es in Deutschland nur noch ein Automodell gibt, was unter 15.000 Euro kostet, dann läuft was falsch. Das hat auch was mit den technologischen Auflagen für Kleinwagen zu tun und das will ich ändern. Es ist eine Frage der Gerechtigkeit, sich ein Auto leisten zu können.
Der neue Dieselkraftstoff HVO100 gewinnt zunehmend an Bedeutung. Sollte Thüringen diesen stärker fördern – und wenn ja, wie?
HVO100 ist eine Chance, die wir nutzen sollten. Ja, unbedingt. Dafür brauchen wir steuerliche Anreize und faire Wettbewerbsbedingungen gegenüber herkömmlichem Diesel. Innovation entsteht nur, wenn sie sich lohnt. Ich wünsche mir, dass Berlin und Brüssel diesen Weg mitgehen – nicht mit Verboten, sondern mit Rückenwind für neue Ideen.
Das geplante Verbrennerverbot ab 2035 sorgt weiter für Diskussion. Halten Sie es für realistisch oder für einen Fehler?
Ich stehe für eine Politik mit Realitätssinn, nicht mit Verbotsschildern. Deswegen halte ich das pauschale Verbrennerverbot für einen Fehler. Es gefährdet Wertschöpfung, Innovation und Arbeitsplätze – gerade in Regionen wie Thüringen, wo viele Zulieferer zu Hause sind.
Wir stehen für einen technologieoffenen Weg: Moderne Verbrenner, Hybridlösungen oder synthetische Kraftstoffe gehören genauso zum Klimaschutz wie E-Autos. Ziel ist nicht das Aus für den Motor, sondern klimaneutrale Mobilität mit verschiedenen Lösungen. Europa braucht mehr Freiheit, nicht mehr Dogma.
Welche konkreten Maßnahmen planen Sie, um Straßen, Schienen und digitale Infrastruktur in Thüringen zu modernisieren?
Wir starten ein Modernisierungsjahrzehnt für Thüringen. Das heißt: Wir investieren gleichzeitig in Straßen, Schienen und digitale Netze. Marode Brücken werden saniert, wichtige Verbindungen wie die Mitte-Deutschland-Bahn sollen ausgebaut werden. Allein im Landesstraßenbedarfsplan sind über 160 Millionen Euro für Neubau und Ausbau vorgesehen. Mobilität endet aber nicht auf der Straße – sie braucht digitale Infrastruktur. Wir wollen, dass Thüringen überall erreichbar bleibt: per Auto, per Bahn und per Glasfaser. So verbinden wir Tradition mit Fortschritt.
Planungsbeschleunigung ist auf Bundesebene ein Dauerthema. Wo sehen Sie den größten Hebel, um Projekte in Ostdeutschland schneller zu realisieren?
Wir brauchen endlich mehr Mut zur Entscheidung. Das Problem ist nicht der Wille zum Fortschritt, sondern die Bürokratie. Wenn Behörden zu lange prüfen, muss gelten: Schweigen heißt Zustimmung. Ich bin ein Freund der Genehmigungsfiktion – wer Fristen reißt, blockiert Zukunft. Gemeinsam müssen wir dafür sorgen, dass Deutschland nicht Bremserland, sondern wieder Beschleuniger wird. Anfang der 1990er haben wir doch vor gemacht, wie Geschwindigkeit geht. Ostdeutschland will bauen, nicht warten. Fortschritt darf nicht in Aktenordnern steckenbleiben.
Klimaneutralität und industrielle Wertschöpfung – wie bringen Sie beides in Einklang?
Klimaschutz und Industrie gehören zusammen – nicht gegeneinander. Wir schaffen das, wenn wir Rahmenbedingungen setzen, die Investitionen in neue Technologien ermöglichen. Bezahlbare Energie, verlässliche Politik, starke Forschung – das ist der Schlüssel. Klimaneutralität muss Modernisierung bedeuten, nicht Deindustrialisierung.
Das Tempolimit auf Autobahnen und eine Anpassung der Höchstgeschwindigkeiten auf Landstraßen und in Städten wird in Deutschland immer wieder diskutiert. Wie stehen Sie dazu?
Ich bin gegen Symbolpolitik. Wir haben dort Tempolimits, wo sie Sinn machen – an Gefahrenstellen, in Baustellen oder zum Lärmschutz. Ein generelles Tempolimit bringt wenig fürs Klima, aber schränkt Freiheit ein. Ich setze auf Eigenverantwortung und moderne Verkehrstechnologie statt pauschaler Verbote. Vernunft funktioniert besser als Zwang.
Wenn Sie einen Wunsch für die Mobilität in Thüringen bis 2035 frei hätten – wie sähe diese Zukunft aus?
Mein Wunsch: Mobilität für alle – sauber, bezahlbar, verlässlich. Ein Thüringen, in dem Auto, Bahn, Bus und Fahrrad nahtlos zusammenwirken. Wo Familien auf dem Land genauso mobil sind wie Menschen in der Stadt. Wenn wir das schaffen, dann hat Thüringen gezeigt: Zukunft ist nicht etwas, das passiert – Zukunft ist etwas, das man macht.